Zur Militarisierung der Gesellschaft

Karin Böhler-Löhr bei ihrem Vortrag zur Militarisierung der Gesellschaft. Foto: Monika Gräf
In seinem Briefwechsel mit Siegmund Freud schreibt Einstein, dass sie sich als Wissenschaftler nicht von ihrer Arbeit abhalten und für die Vorbereitung eines neuen Krieges missbrauchen lassen dürften. Und weiter:
„Es gäbe genug Geld, genug Arbeit, genug zu essen, wenn wir die Reichtümer der Welt richtig verteilen würden, statt uns zu Sklaven starrer Wirtschaftsdoktrinen oder -traditionen zu machen. Ich bin der gleichen Meinung wie der große Amerikaner Benjamin Franklin, der sagte: es hat niemals einen guten Krieg und niemals einen schlechten Frieden gegeben. (…) Die Massen sind niemals kriegslüstern, solange sie nicht durch Propaganda vergiftet werden.“
Das Zitat habe ich aus zwei Gründen ausgewählt:
- Wie sieht Propaganda heute aus?
- Wie soll die Wissenschaft durch Gesetzesänderungen in den Dienst militärischer Interessen gestellt werden?
Das folgende Zitat des damaligen Bundespräsidenten Köhler von 2005 wirft ein klar antimilitaristisches Bild auf die Mehrheit der deutschen Bevölkerung: „Die Deutschen sind ein friedliebendes Volk, sie halten gern vorsichtige Distanz zu allem Militärischen.“
Die seit 2022 propagierte Zeitenwende muss also vielschichtig gestaltet werden, um diese Haltung zu ändern.
1. Wie wird die Zivilgesellschaft an militärische Präsenz gewöhnt?
- Sprache schafft Wirklichkeit: kriegstüchtig sollen wir werden, Frau Baerbock fordert: wir dürfen nicht kriegsmüde werden, von Blutzoll und Helden ist die Rede
- Werbeaktionen auf Plakaten, an Bushaltestellen, im Kino
- Einführung des Veteraninnentags: ab 2025 wird jedes Jahr am 15. Juni die Ehrung, der Respekt und die Würdigung unserer Soldatinnen und Soldaten begangen, um deren Sichtbarkeit in der Öffentlichkeit zu erhöhen.
- Die 2023 zum ersten Mal in Deutschland abgehaltenen Invictus Games tragen auch zur Militarisierung der Gesellschaft bei. Ein Auftritt von Verteidigungsminister Pistorius und Prinz Harry in der Sportschau unterstrich die Bedeutung der Spiele für die Streitkräfte und ihre Veteranenkultur. Die Athletinnen verdienten Respekt und seien „Role Models“. Wie Hohn klingt es, zu erfahren, dass diese Spiele außer der Finanzierung mit Steuergeldern auch von der Rüstungsindustrie gesponsert werden.
- Diskussion über die Wiedereinführung der Wehrpflicht
- Aktionstage der Bundeswehr für 16- bis 19-Jährige; ein Bericht darüber in der Süddeutschen Zeitung (27.12.2024) titelte „Abenteuerurlaub in Uniform“. Darin wird nicht thematisiert, in welche bedrohliche Situation Jugendliche im Ernstfall kommen können.
2. Nein zur Militarisierung an Schulen und Hochschulen!
Der Bayerische Landtag hat im Juli 2024 das „Gesetz zur Förderung der Bundeswehr in Bayern“ verabschiedet. Es greift massiv in die pädagogische Arbeit an Schulen ein, indem verbindlich vorgeschrieben wird, dass diese „…mit den Jugendoffizierinnen und Jugendoffizieren der Bundeswehr im Rahmen der politischen Bildung zusammenarbeiten.“ Zudem „…(dürfen) die Karriereberaterinnen und Karriereberater der Bundeswehr im Rahmen schulischer Veranstaltungen zur beruflichen Orientierung über Berufs- und Einsatzmöglichkeiten in ihrem Bereich informieren.“
Kann ernsthaft erwartet werden, dass Jugendoffiziere zwei charakteristische Züge des Militarismus in der Armee thematisieren?
- Die unbedingte Unterwerfung jedes Einzelnen unter den Willen des Vorgesetzten und zwar auf Kosten dessen, was sonst für menschliche Entwicklung Wert besitzt.
- Die sich auf dieser Grundlage entwickelnde Missachtung humanen Empfindens, die sich u. U. ungestraft bis zur Brutalität steigern darf.
Auch die Rechte der Hochschulen werden von diesem Gesetz beschnitten. „(Sie) sollen mit Einrichtungen der Bundeswehr zusammenarbeiten … (und) haben mit ihnen zusammenzuarbeiten, wenn und soweit das Staatsministerium auf Antrag der Bundeswehr feststellt, dass dies im Interesse der nationalen Sicherheit erforderlich ist.“
Militärische Forschung in zivilen Institutionen ruft verschiedene Widersprüche hervor. Einerseits sollte der wissenschaftliche Prozess ein öffentlicher sein, andererseits sind die Ergebnisse militärischer Forschung meist nicht öffentlich. Sie finden jedoch an öffentlich finanzierten Institutionen statt. Dies ist intransparent und schränkt die Freiheit der Wissenschaft ein, das gewonnene Wissen öffentlich zugänglich zu machen. Auch eine Verquickung mit wirtschaftlichen Interessen ist nicht überprüfbar.
Ganz zu schweigen, wie NATO-Mitglieder, z.B. die Türkei, die autokratisch organisiert sind, damit umgehen werden.
Folge: In der Bildung werden so Formen gewaltfreier Konfliktlösungen weiter verdrängt.
ÖKOPAX lehnt dieses Gesetz entschieden ab und beteiligt sich an der Popularklage dagegen.
3. Aufrüstung – stark gestiegene Militärausgaben
Wenn man im Allgemeinen von Militarisierung spricht, versteht man eine zunehmende Akzeptanz von und Fokussierung auf Krieg als Mittel der Politik und zur Durchsetzung der eigenen (nationalen) Interessen.
Dies wird mit der Erhöhung der militärischen Schlagkraft gleichgesetzt. Die Logik dahinter ist, dass, wer auf sein Militär als Mittel zur Durchsetzung der politischen Interessen setzt, auch entsprechend dafür sorgen wird, dass diesem die notwendigen Ressourcen zur Verfügung stehen.
Kurz gefasst kann Militarisierung also wie folgt verstanden werden: Je größer der gesellschaftliche und politische Einfluss des Militärs und die ihm zugewiesenen Ressourcen, desto größer der Grad der Militarisierung.
Dementsprechend erhöht Deutschland seit 2022 die Militärausgaben drastisch:
2014 betrug der Soll-Etat noch 32,4 Milliarden Euro. 2017 erhöhte er sich bereits auf rund 37 Milliarden Euro. Im Jahr 2024 liegt er nunmehr bei 51,95 Milliarden Euro.
Dazu kommen etwa 28 Milliarden Euro, die D für die Unterstützung der Ukraine zur Verfügung beziehungsweise für die kommenden Jahre bereitgestellt hat.
Gegenüber dem Vorjahr ist der Verteidigungsetat 2024 um 1,83 Milliarden Euro gestiegen. Mit 51,95 Milliarden Euro aus dem Verteidigungshaushalt und rund 19,8 Milliarden Euro aus dem Sondervermögen Bundeswehr steht D damit laut SIPRI an Platz 2 in der NATO und global auf Rang 6.
Damit ist der Verteidigungsetat der zweitgrößte im Bundeshaushalt. Die Bereiche Bildung und Gesundheit sowie Soziales müssen entsprechend gekürzt werden.
Insgesamt werden die derzeit 32 NATO-Staaten nach jüngsten Schätzungen im Jahr 2024 rund 1,5 Billionen US-Dollar (etwa 1,4 Billionen Euro) für Verteidigung ausgeben. Die Inflation und Wechselkursschwankungen herausgerechnet würde dies im Vergleich zum Vorjahr einem Anstieg um 10,9 Prozent entsprechen. Die europäischen Alliierten und Kanada allein würden den Angaben zufolge sogar auf ein Plus von 17,9 Prozent kommen.
4. Begründung – Feindbilder und Lobbyinteressen
Begründet wird die massive Aufrüstung mit dem Krieg Russlands gegen die Ukraine und die latente Bedrohung, die von Russland unter Putin gegenüber dem Westen insgesamt ausgehe.
Ja, dieser schreckliche Krieg ist aufs Schärfste zu verurteilen. Zivilpersonen, ukrainische Soldaten, russische Soldaten, ja sogar Soldaten aus Nordkorea, oftmals schlecht ausgebildet, werden in diesem schrecklichen Krieg getötet, verwundet und traumatisiert.
Unzweifelhaft gibt es imperialistische Bestrebungen in Russland.
Doch muss die Frage erlaubt sein, welche Schritte zu diesem Krieg geführt haben. Die Frage nach der Vorgeschichte und eine Analyse heutiger Machtpolitik erlaubt eine kritische Betrachtung aller Beteiligten. Sie unterscheidet sich deutlich von einem Schwarz-Weiß-Denken, das Gut und Böse nur jeweils einer Seite zuschreibt.
Das Feindbild Putin aber mit einer ständigen Dämonisierung in den Medien wird benutzt, um Angst zu schüren, die Aufrüstungsspirale anzutreiben, ein neues Wettrüsten zu betreiben.
Damit einhergehend und mit einer angenommenen Bedrohungslage auch für NATO-Staaten besteht in Europa ein Bedürfnis nach Sicherheit und der Möglichkeit, sich verteidigen zu können.
Wehrhaft zu sein heißt aber nicht zwangsläufig, kriegstüchtig zu sein! Andere Formen der Verteidigung werden im öffentlichen Diskurs aber überhaupt nicht thematisiert.
Denn die andere Wahrheit ist auch:
Die NATO ist Russland militärisch überlegen.
Im November letzten Jahres veröffentlichte Greenpeace eine Studie zu den Militärausgaben der NATO und Russlands: 6 Parameter wurden verglichen, Militärausgaben (NATO 10 x so viel wie Russland, 1,19 Billionen $ zu 127 Milliarden), auch ohne die USA und unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Kaufkraft besteht ein Übergewicht (430 Milliarden zu 300 Milliarden); Großwaffensysteme (NATO 3fach, z.B. bei Kampfflugzeugen, überlegen); bei strategischen Bombern besteht etwa Gleichstand;
Parität bei den Atomwaffen.
Russland hat außerdem einen erheblichen technischen Rückstand.
Bei der Zahl von Soldaten besteht ebenfalls ein Vorsprung der NATO.
Der weltweite Rüstungsmarkt wird mit über 70 % des Gesamtumsatzes von den NATO-Staaten dominiert.
Der Zustand der Bundeswehr wurde laut einer Greenpeace-Studie von 2023 permanent schlechtgeredet: Ein Vergleich mit Frankreich und GB zeigte, dass es nicht an fehlenden Mitteln liegt, sondern v.a. ein Problem der Beschaffungswirtschaft sei.
Mit Aktiengewinnen, z.B. von Rheinmetall, werden Anleger gelockt, denen durch lang andauernde militärische Konflikte sichere Renditen prophezeit werden.
Rüstungsaktien haben in den letzten Jahren spektakuläre Kursgewinne aufs Parkett gelegt. So konnte beispielsweise die Rheinmetall-Aktie von Kursen unter 83 EUR Anfang 2022 auf aktuell 730 EUR steigen.
Mit ihren Lobby-Interessen sind die Konzerne international gut vernetzt und suchen politische Akteure für ihre Ziele:
Armin Papperger, CEO von Rheinmetall, betonte zuletzt den US-Konzernen noch mehr Paroli zu bieten und sprach sich öffentlich für eine neu reformierte Wehrpflicht aus.
5. Verunglimpfung friedenspolitischer Argumente
Friedensaktivisten werden als naiv und Putin-Freunde lächerlich gemacht. Zumeist, ohne inhaltlich auf deren Argumente einzugehen.
Eine einseitige Berichterstattung stellt den Ausgang des Krieges in der Ukraine so dar, als hinge er nur von weiteren Waffenlieferungen ab.
Am 14.01.2025 wurde erstmals in den Tagesthemen berichtet, dass innerhalb der ukrainischen Armee große strukturelle Probleme herrschen, wie Machtmissbrauch und Korruption sowie fehlende Ausbildung. 60 000 Soldaten gelten als unerlaubt von ihrer Einheit abwesend, etwa 30 000 sind fahnenflüchtig.
Kriege kennen nur Verlierer – auf beiden Seiten.
Resümee der Greenpeace-Studie: „Statt weiter aufzurüsten, sollte die bestehende konventionelle Überlegenheit der Nato – bei gleichzeitig potentiell möglicher nuklearer Eskalationsbereitschaft auf russischer Seite - zum Anlass genommen werden, rüstungskontrollpolitische Initiativen vorzubereiten und zu initiieren“. So solle neues Vertrauen ermöglicht werden.
Wir brauchen Kooperation und Diplomatie, um Europa sicherer zu machen. Hochrüstung hat in Europa bisher nur zu Weltkriegen geführt.
Karin Böhler-Löhr 2025: "Die Militarisierung der Gesellschaft". Vortrag beim ÖKOPAX-Neujahrsempfang am 19. Januar 2025, Würzburg.