Welchen Zusammenhang gibt es zwischen den steigenden Rüstungsausgaben, dem brüchigen Sozialstaat und dem Erfolg der extremen Rechten?
Hope of the People! © Bild: Thomas Gebauer (1990)
Der Erfolg extrem rechter Parteien weltweit ist ohne die tiefen Einschnitte in soziale Errungenschaften und die fortschreitende Umverteilung der Vermögen nicht zu verstehen. Die Zunahme prekärer Arbeitsverhältnisse seit den 80er Jahren, gekennzeichnet durch mangelnde Existenzsicherung, Arbeitsplatzunsicherheit und erhöhtes Armutsrisiko, bei gleichzeitigen Einsparungen in der öffentlichen Daseinsvorsorge führte zu Vertrauensverlusten in die Politik. Von den Parteien, die sich traditionell sozialen Anliegen verpflichtet hatten, also der Sozialdemokratie und der klassischen Linken, waren Wähler aus Arbeitermilieus besonders enttäuscht. So verlor z.B. die SPD zwischen 1990 und 2024 fast 600 000 Mitglieder. Auch hinsichtlich der Wahlergebnisse – bei der letzten BT-Wahl waren es 16,4 % - ist von der großen Volks- und Arbeiterpartei nicht mehr viel übrig.
Die AfD verdoppelte im Vergleich zu 2021 ihren Anteil an Wählerstimmen auf 20,8 %. Ihr gelingt es, Stimmen aus klassischen Nichtwählerschichten zu rekrutieren. Doch zunehmend wenden sich auch Wähler, die klassisch konservativ orientiert sind, wie Fachkräfte, Bürgertum und Rentner, der extremen Rechten zu. Ein Konglomerat aus Wut, Enttäuschung und Zukunftsangst angesichts permanenter Krisen (Finanzkrise, Pandemie, Kriege, Klimakatastrophen) verunsichert große Teile der Bevölkerung.
Statt diese Bedrohungen in den Fokus zu rücken und politische Antworten auf diese Probleme zu erarbeiten, wenden sich Parteien europaweit vorrangig den Themen Aufrüstung und Subventionierung von Industriezweigen zu, die von Transformation betroffen sind. Während dabei Profite privatisiert werden, tragen die Kosten dafür die Bürger.
Marode Infrastruktur und Sozialabbau
Einschnitte in Sozialleistungen erzeugen nicht nur das Gefühl des Verlustes, sondern sie nehmen den Menschen tatsächlich etwas weg. Dabei treffen sie v.a. die ärmsten und schwächsten Mitglieder der Gesellschaft:
- Klinikschließungen haben lange Wartezeiten, schlechtere Erreichbarkeit und eingeschränkte Leistungen zur Folge
- Abschaffung der Pflegestufe 1 würde pflegende Angehörige stärker belasten und die Streichung von Zuschüssen und Beratungen bedeuten
- Finanznot bei Kommunen bewirkt fehlende Mittel für psychosoziale Einrichtungen, Betreuung von Menschen mit Behinderung, Schließung von Einrichtungen für Jugendliche und Verlust an kulturellen Angeboten
- Abschaffung des Bürgergeldes führt zu verschärften Sanktionen bis hin zur kompletten Streichung
Auch die Inflation trifft einkommensschwache Familien besonders hart, zumal Lebensmittelpreise und Dinge des alltäglichen Bedarfs deutlich über dem statistischen Inflationsindex liegen.
Hinzu kommt der jahrzehntelange Investitionsstau bei Schulen, Bahn, Brücken, Straßen, Schwimmbädern usw.
Kürzungen werden oft mit dem Begriff „Reform“ beschönigt. Denn dahinter verbergen sich meist keine Verbesserungen, sondern Verluste für die Mehrheit der Bürger.
Vor diesem Hintergrund muss es angesichts hunderter Milliarden, die für Aufrüstung ohne Beschränkung zur Verfügung stehen, zum Vertrauensverlust in Entscheidungsträger kommen. Die AfD erscheint dann vielen als Form des Protestes oder als Alternative zu den traditionellen Parteien, obwohl sie wirtschaftspolitisch ähnliche Ziele vertritt.
Fehler der traditionellen Parteien
Statt mit eigenen Zielsetzungen die gesellschaftlichen Probleme anzugehen, übernehmen v.a. die Unionsparteien und Freie Wähler oftmals Themen, die die AfD vorgibt. Sie machen Migranten zu Sündenböcken, statt tatsächliche Ursachen von wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Problemen wirksam anzugehen: Wohnungsnot, fehlende Betreuungsplätze für Kinder und Unterversorgung der Schulen durch jahrelange Austeritätspolitik und ungerecht verteilte Steuerlast. Auch sprachlich und im Politikstil ahmen Politiker der bürgerlichen Parteien das rüde Verhalten der AfD nach. Begriffe wie illegale Migration, Remigration oder Diffamierung von Politikern anderer Parteien (z.B. der Grünen) werden so salonfähig.
Bundeskanzler Friedrich Merz schwört die Bürger beharrlich auf Sparmaßnahmen ein. Die Last der Kürzungen tragen vorwiegend Rentner, Pflegebedürftige und Beschäftigte im Niedriglohnsektor, während die Reichsten geschont werden. Forderungen nach Besteuerungen von Superreichen werden postwendend mit dem Vorwurf des Sozialneids belegt. Dabei könnte die Regierung schon jetzt, so Dr. Stefan Bach vom DIW (Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung) durch einen Mix aus Erbschafts-, Superreichen-Vermögenssteuer und höheren Spitzensteuersätzen jährlich Mehreinnahmen von 40 Milliarden € erzielen. Stattdessen setzen die Profiteure der Ungleichbehandlung ihre Interessen z.B. durch die „Stiftung Familienunternehmen“ politisch durch.
Zwar setzt die Demokratie Kompromissfähigkeit voraus, doch ist es fatal, wenn die bürgerlichen Parteien zu wenig Kontur zeigen, v.a. hinsichtlich sozialer Fragen. Bei zu viel Einheitlichkeit gelingt es der AfD immer wieder, sich als alleinigen Gegenpol darzustellen. Sie präsentiert sich als Anwalt der kleinen Leute.
Aufrüstung ist der Feind der Armen
In Anlehnung an Martin Luther Kings „Riverside Church – Rede“, in der er sich 1967 entschieden gegen den Vietnam-Krieg stellte, gilt heute: Nicht nur der Krieg ist der Feind der Armen, sondern die weltweite Aufrüstung.
Viele westliche Länder, v.a. die USA, kündigten Auslandshilfen auf, die für die Bekämpfung von Hunger und Krankheit notwendig gebraucht werden.
In Europa fließen Milliarden in Rüstungsgüter bei gleichzeitiger Demontage des Wohlfahrtsstaates. Die Ressourcen für das Militär werden Programmen zur Armutsbekämpfung entzogen. Um Widerstand gegen die propagierte „Kriegstüchtigkeit“ zu verhindern, wird medial ein ständiges Bedrohungsszenario aufrechterhalten. Die Angst vor einem russischen Überfall auf einen NATO-Staat wird permanent prophezeit. Beweise dafür liegen nicht vor: Wie Russland, dem es bisher nicht gelungen ist, die Ukraine militärisch zu besiegen, dies personell und technisch bewerkstelligen könnte, bleibt unbeantwortet.
Von der exorbitanten Aufrüstung profitiert der industriell-militärische Komplex in einem nie gekannten Ausmaß. Aktuell gehören z.B. in Deutschland drei Familien, die hinter dem Rüstungskonzern KNDS stehen, zu den größten Gewinnern unter den reichsten Familien. Ihr Vermögen stieg von 2,7 auf 8 Milliarden €.
Verlierer sind Frieden, Ökologie, Klima und soziale Gerechtigkeit. Das Militär ist der klima- und umweltschädlichste aller Wirtschaftssektoren.
Die Menschheit muss sich diesen Aufgaben stellen, um überlebensfähig zu bleiben. Deshalb dürfen sich Umweltbewegung und Friedensbewegung nicht spalten (lassen).
„Frieden auf der Erde und Frieden mit der Erde sind untrennbar.“ (Scheidler, S. 173)
Quellen:
Interview mit Didier Eribon: „Verraten von den Linken“, Süddeutsche Zeitung 26.09.25
https: //de.statista.com
bpb Sozialbericht 2024
Fabian Scheidler: Friedenstüchtig. Wie wir aufhören können, unsere Feinde selbst zu schaffen. Wien 2025