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Wie kann die Stimme des Pazifismus lauter werden?

Dr. Thomas Schmelter bei seinem Vortrag zur Stimme des Pazifismus. Foto: Monika Gräf<br>

Dr. Thomas Schmelter bei seinem Vortrag zur Stimme des Pazifismus. Foto: Monika Gräf

Ja, die Stimme des Pazifismus, der Friedensbewegung ist unter Druck: antimilitaristische und pazifistische Argumente und Meinungen werden als naiv und weltfremd abgetan: Die herrschende Kriegslogik duldet keinen Widerspruch!  

Ja, Kriege polarisieren, Kriege verzerren die Wahrnehmung, so groß ist der Druck, so groß ist das Leid, so mächtig sind die Interessen. Eigentlich – so sehen das dann die Kriegsparteien und am Krieg beteiligten Gesellschaften - gibt es nur noch Schwarz und Weiß. Das ist in den Kriegen in der Ukraine und im Nahen Osten, die uns ja besonders nahe gehen, nicht anders. Je nach Standpunkt sieht man nur noch das, was man sehen will – das Andere wird ausgeblendet. Und uns geht es ja meist auch so, wir sind ja auch Teil davon. – Je nach dem was ich sehe, höre, lese denke ich: Ja, es gibt doch keine Alternative zur Eskalation. Oder, wenn ich in einem anderen Milieu bin, erscheint es mir genau umgekehrt. Aber sehe ich dann das Leiden der Zivilbevölkerung und an der Front klar genug?

Wir müssen aufpassen, dass wir nicht selber Opfer der Polarisierung werden und weltfremd Antworten zum Besten geben, so als würde der Konflikt aufhören, wen wir nur Blumen in die Hand nähmen.

Und wir werden dann gefragt: „Was wollt ihr denn da jetzt mit eurer Friedensliebe machen?“

Wie kann Frieden wachsen?

Mir hilft da das Bild des umstürzenden Baumes: Wer kann den denn noch aufhalten? Da wird suggeriert (und das ist salonfähig, besser talkshow-fähig) als hätte der Pazifismus den Baum zum umstürzen gebracht.

Wie hättet ihr denn Hitler gestoppt? Gegenfrage: Wer hat Hitler denn an die Macht gebracht? Die Pazifisten etwa?

Als hätten die Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten keine Vorgeschichte.

Den Schuh sollten wir uns nicht anziehen!

Friedensarbeit kann wohl kaum den umstürzenden Baum aufhalten: Friedensarbeit kümmert sich vor allem darum, was den Wald zum Wachsen bringt.

In solch lodernden Konflikten gibt es natürlich keine gute „Lösung, nur mehr oder weniger schwierige Wege zu Deeskalation. 

Mir fällt da ein Zitat von Nikita Chruschtschow auf dem Höhepunkt der Kuba-Krise ein; er war damals, 1962, der starke Mann im Kreml: „Jeder Trottel kann einen Krieg anfangen und wenn er es einmal gemacht hat, sind selbst die Klügsten hilflos ihn zu beenden – besonders, wenn es ein atomarer Krieg ist.“

Wege zu weniger Gewalt

Anliegen von Friedensarbeit ist es auf die Konsequenzen der Kriegslogik hinzuweisen und Wege zu suchen daraus schrittweise auszusteigen.

Denn was hat uns die angeblich so vernünftige Realpolitik denn gebracht? Armin Meisterernst hat das im letzten Jahr hier so formuliert: „Deren Leistungen können bei der kritischen Geschichtswissenschaft nachgeschlagen oder auf Friedhöfen und Soldatenfriedhöfen besichtigt werden.“

Vor etlichen Jahren war ich auf einer Tagung des BSV, des Bund für Soziale Verteidigung, in Bonn. Ich war skeptisch, ob ich dahin passe. Meine Vermutung: „Das sind bestimmt Radikalpazifisten, die noch nicht mal eine Ameise tottreten.“ So war ich überrascht, als zum Auftakt der Tagung eine Art Positionsbestimmung der Anwesenden gemacht wurde, wie man es denn mit der Anwendung von Gewalt in gefährlichen Konflikten halte. Natürlich favorisierte niemand gewaltsame Strategien. Aber die meisten sahen Gewalt in bestimmten Situationen als nicht auszuschließendes letztes oder allerletztes Mittel.
 Pazifismus ist nicht automatisch Radikalpazifismus, es ist ein fließender Übergang zum Antimilitarismus. Wege suchen zu immer weniger militärischer Gewalt, hin zu legitimierter, rechtsstaatlich kontrollierter Polizeigewalt.

Pazifistische Positionen

M.L. King: „Ich bin kein doktrinärer Pazifist. Ich habe versucht einen realistischen Pazifismus anzunehmen. Zudem halte ich die pazifistische Position nicht für sündlos, sondern für das kleinere Übel unter den gegebenen Umständen. Deshalb beanspruche ich nicht […] frei von moralischen Dilemmata zu sein.“

Heribert Prantl - vielen ist er ein Begriff als früherer Redakteur der SZ - setzt sich in seinem 2024 erschienen Buch „Den Frieden gewinnen“ intensiv mit der Friedensfrage und der Denunziation des Pazifismus auseinander:

„Wer von den Kriegsverbrechen spricht, die in der Ukraine oder in Palästina begangen werden, wer sie zu Recht anprangert, anklagt, verurteilt, der spricht von Verbrechen im Krieg, nicht vom Krieg als Verbrechen. Er unterscheidet zwischen dem regelbestimmten, dem angeblich sauberen Krieg einerseits und andererseits Verbrechen, die in diesem Krieg begangen werden. So lehrt es das Völkerrecht. Aber Krieg ist nicht recht, auch wenn er völkerrechtlich geregelt ist. Er ist in sich und in toto ein Verbrechen. Wenn er beginnt, ist der entscheidende Fehler schon gemacht worden; wo er herrscht ist die Gerechtigkeit schon perdu. Der Pazifismus ist daher der große und wichtige Widerspruch, er ist die Anklage gegen den lateinischen Spruch: Si vis pacem para bellum. Wer Frieden will, soll den Frieden suchen, er soll ihn vorbereiten, er soll ihn pflegen – nicht erst im Krieg, sondern lange vorher, bevor er zu köcheln und zu kochen beginnt. Das ist Pazifismus.! 

Beispielhafte Initiativen

Und diese Arbeit gibt es, vielleicht ist uns das manchmal sogar zu wenig klar. Ich denke etwa

  • an die Konfliktlösungsperspektiven nationaler und internationaler Konflikte, die der Friedensforscher Johan Galtung erarbeitet hat,
  • an die Arbeit der Carter-Kommission – von gerade verstorbenem Ex-Präsidenten Carter ins Leben gerufen – die im backstage Bereich der internationalen Politik diplomatische Lösungen befördert hat,
  • an die zivilgesellschaftlichen Bemühungen um atomare Abrüstung und weitere Ratifizierung des Atomwaffenverbotsvertrags. Eine Arbeit, die auch 2024 wieder einmal durch den Friedensnobelpreis anerkannt wurde.
  • an die Grundidee des Bund für Soziale Verteidigung: den Feind nicht an der Grenze zu bekämpfen, sondern ihm durch zivilgesellschaftlichen Widerstand das Wasser abzugraben,
  • an das Forum Ziviler Friedensdienst, das inzwischen seit Jahrzehnten Friedensfachkräfte in Krisengebiete schickt und gerade auch nach Ende von Kämpfen zur dauerhaften Befriedung verfeindeter Gruppen beiträgt,
  • und an die konstruktive und beharrliche Initiative „Sicherheit neu denken“, die gerade zum Anfang dieses Jahres ein Positiv-Szenario vorgelegt mit dem Titel „Europas Rolle für den Frieden in der Welt“
  • oder auch an die Graswurzelinitiativen für friedliches Zusammenleben, die seit 30 Jahren mit dem Würzburger Friedenspreis ausgezeichnet werden.

Nährboden für Utopien

Unrealistisch? Gar utopisch? Was ist die Alternative? Wir fragen: Was bringt den Wald zum Wachsen?

Wir dürfen klar und vernehmlich unsere Stimme erheben, nicht in dem Bewusstsein „die Lösung“ zu haben. Das wäre naiv und würde nur einem Schwarz-Weiß-Denken entsprechen. Aber wir dürfen und müssen auch auf das Ergebnis der sog. Realpolitik verweisen: Was ist das Ergebnis von 2 Billionen US-Dollar Rüstungsausgaben weltweit, davon mehr als die Hälfte von der NATO?

Unrealistisch? Utopisch? Da sage ich mit Kurt Tucholsky: „Das weiß man nicht“:

„Man hat ja noch niemals versucht, den Krieg ernsthaft zu bekämpfen. Man hat ja noch niemals alle Schulen und alle Kirchen, alle Kinos und alle Zeitungen für die Propaganda des Krieges gesperrt. Man weiß also gar nicht, wie eine Generation aussähe, die in der reinen Luft eines gesunden und kampfesfreudigen, aber kriegsablehnenden Pazifismus aufgewachsen ist. Das weiß man nicht. Man kennt nur staatlich verhetzte Jugend.“

 

Thomas Schmelter 2025: "Wie kann die Stimme des Pazifismus lauter werden?", Vortrag beim ÖKOPAX-Neujahrsempfang am 19. Januar 2025, Würzburg. 

 

 

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