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„Wir müssen kriegstüchtig werden“ versus das Friedensgebot des Grundgesetzes

"Friedensreicher Postilion von Münster" - Bild zum Westfälischen Frieden<br>

"Friedensreicher Postilion von Münster" - Bild zum Westfälischen Frieden

Boris Pistorius im Interview bei „Berlin direkt“, ZDF, 29.10.23:

„Wir müssen uns wieder an den Gedanken gewöhnen, dass die Gefahr eines Krieges in Europa drohen könnte. Und das heißt: Wir müssen kriegstüchtig werden. Wir müssen wehrhaft sein. Und die Bundeswehr und die Gesellschaft dafür aufstellen… Wir brauchen einen Mentalitätswechsel in der Truppe, in der Politik, aber auch gerade in der Gesellschaft.“(1)

Pistorius’ Äußerung wurde verständlicherweise sehr beachtet und zustimmend sowie ablehnend kommentiert. Jedoch: droht ein Krieg in Europa? Es ist wieder Krieg in Europa! Und sicher ist auch die Kriegsgefahr zukünftig größer als noch vor einigen Jahren.

Aber warum diese Wortwahl? Warum soll sich unsere Mentalität ändern? Vermutlich würde sich Pistorius selbst bereits die richtige Mentalität bescheinigen, denn schon in einem SZ-Interview kurz nach Amtsantritt meinte er: “Ich habe richtig Bock auf den Job.“ (2)

Friedensgebot des Grundgesetzes

Zur Orientierung ein Blick ins Grundgesetz (GG), das für uns alle eine grundlegende Friedensverpflichtung kennt (3):

Art. 1, Abs.2, benennt in klaren, knappen Worten, den unauflöslichen Zusammenhang zwischen Menschenrechten, Frieden und Gerechtigkeit: „Das deutsche Volk bekennt sich darum [da die Würde des Menschen unantastbar, zu achten und zu schützen ist, Abs.1] zu den unantastbaren und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.“

Völkerrecht vor Bundesrecht

Art. 25 führt weiter aus: „Die allgemeinen Regeln des Völkerrechts sind Bestandteil des Bundesrechts. Sie gehen den Gesetzen vor und erzeugen Rechte und Pflichten unmittelbar für die Bewohner des Bundesgebiets.“

Der Bundesverwaltungsrichter a.D. Deiseroth beschreibt dies als „(...) eine revolutionäre Neuheit in der deutschen Rechtsgeschichte“ (4), denn mit dieser Regelung ist Deutschland ausdrücklich an die Menschenrechte und das Friedensgebot der UN-Charta gebunden. Lt. Art. 51 dieser Charta ist das Recht zur Selbstverteidigung eines Staates erst dann gegeben, wenn die UN keine ausreichenden friedenssichernden Maßnahmen ergreifen. Dies ist angesichts der Abstimmungsverhältnisse im UN-Weltsicherheitsrat allerdings leider oft der Fall.

Neben der UN-Charta ist für Deutschland völkerrechtlich außerdem der „Vertrag zur Ächtung des Krieges“ (Briand-Kellogg-Pakt) von 1928 bindend. Die Vertragsparteien erklären in Art. 1 in feierlichen, gleichwohl dürren Worten,

„dass sie den Krieg als Mittel für die Lösung internationaler Streitfälle verurteilen und auf ihn als Werkzeug nationaler Politik in ihren gegenseitigen Beziehungen verzichten“ (5).

Vertragsparteien sind bis heute eine Vielzahl von Staaten: USA, Sowjetunion/ Russland, Großbritannien, Frankreich Deutschland, die meisten Länder der Nordhalbkugel u.v.a. Der Vertrag wurde, zumal keine Sanktionsmöglichkeit vereinbart ist, oft gebrochen. Er diente jedoch auch als Rechtsgrundlage für die Nürnberger Kriegsverbrecher-prozesse gegen Nazi-Deutschland.

Verfassungswidrigkeit von Angriffskriegen

Art 26, Abs. 1 nennt die Vorbereitung eines Angriffskriegs verfassungswidrig:

„Handlungen, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, insbesondere die Führung eines Angriffskriegs vorzubereiten sind verfassungswidrig. Sie sind unter Strafe zu stellen.“

Die Strafandrohung der Vorbereitung und Führung eines Angriffskriegs erfolgt inzwischen durch § 13 Völkerstrafgesetzbuch. Aber welche Handlungen bedrohen „das friedliche Zusammenlebender der Völker“? Was sind etwa die internationalen Militäraktionen der USA, die von deutschem Boden über deren Militärbasis in Ramstein/Pfalz abgewickelt werden?

Art 26, Abs. 2 legt fest: „Zur Kriegführung bestimmte Waffen dürfen nur mit Genehmigung der Bundesregierung hergestellt, befördert und in Verkehr gebracht werden“  

Lt. dem schwedischen Friedensforschungsinstitut SIPRI exportierte Deutschland im Jahr 2023 Waffen im Wert von 12,2 Mrd. € - so viel wie nie zuvor - und nimmt damit Rang 5 in der internationalen Waffenexportstatistik ein. (6)

Kollektive Sicherheitssysteme

Art 24, Abs.2 erlaubt zur Wahrung des Friedens die Zugehörigkeit zu einem kollektiven Sicherheitssystem:

„Der Bund kann sich zur Wahrung des Friedens einem System kollektiver Sicherheit einordnen; er wird hierbei in die Beschränkung seiner Hoheitsrechte einwilligen, die ein friedliche und dauerhafte Ordnung in Europa und zwischen den Völkern der Welt herbeiführen und sichern.“

Völkerrechtler unterscheiden zwischen Verteidigungsbündnissen und Systemen kollektiver Sicherheit. Verteidigungsbündnisse sind zur Verteidigung gegen äußere Feinde konzipiert. Sie seien deswegen tendenziell „exklusiv“ und stünden nicht jedem Staat zum Beitritt offen. Insbesondere Staaten, die weder zum Verteidigungsbündnis noch zum Lager der Feinde gehörten, kämen dadurch strukturell in eine heikle Lage. Wir erleben dies gerade bei der Diskussion des NATO-Beitritts der Ukraine.

Das Bundesverfassungsgericht hat jedoch in einem sehr umstrittenen Urteil von 1994 die NATO als System kollektiver Sicherheit definiert. Es sichere kollektive Sicherheit innerhalb des Bündnisses. Bei einem solchen Verständnis wird die Schaffung einer umfassenden europäischen bzw. eurasischen Sicherheitsordnung erheblich erschwert. (4)

Westfälischen Frieden und aktuelle Impulse zu inklusiver, kollektiver Sicherheit

Boris Pistorius war von 2006-2013 Oberbürgermeister der Stadt Osnabrück. Osnabrück ist zusammen mit Münster stolz darauf „Stadt des Westfälischen Friedens“ zu sein, der 1648 den 30-jährigen Krieg beendete und nennt sich heute sogar auf dem Ortsschild „Die Friedensstadt“. Der Friedensvertrag wurde erst nach 5 Jahren zäher Verhandlungen - während derer noch gekämpft wurde - möglich. Er schuf ein weit reichendes, inklusives und lang dauerndes System kollektiver Sicherheit, das vorher aussichtslos erschien.

Ob uns eine Mentalitätsänderung zu mehr „Kriegstüchtigkeit“ in die richtige Richtung bringt? Oder ist eine Mentalität im Geist des Grundgesetzes nicht eine bessere Orientierung?

Konstruktive Ansätze zur gegenwärtigen Entwicklung inklusiver, kollektiver Sicherheitskonzepte finden sich im aktuellen Impulspapier der „Initiative Sicherheit neu denken“ vom November 2023. (7)

Quellen:

(1) Interview mit Boris Pistorius - ZDFmediathek

(2) Süddeutsche Zeitung 28.1.23: Interview mit Boris Pistorius

(3) pdf (gesetze-im-internet.de)

(4) D. Deiseroth: Das Friedensgebot des Grundgesetzes und der UN-Charta | Netzwerk Friedenskooperative

(5) Der Kriegsächtungspakt - Briand-Kellogg-Pakt (1928) | Geschichtsforum.de - Forum für Geschichte

(6) Infografik: Wer verkauft die meisten Waffen | Statista

(7) sicherheitneudenken.de/impulspapiere

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